Access - Presentation - Memory. The American Presidential Libraries and the Memorial Foundations of German Politicians

Access - Presentation - Memory. The American Presidential Libraries and the Memorial Foundations of German Politicians

Organisatoren
German Historical Institute Washington; Office of Presidential Libraries, National Archives, Washington; Deutsche Politikergedenkstätten-Stiftungen
Ort
Washington DC
Land
United States
Vom - Bis
08.09.2004 - 10.09.2004
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Von
Wolfgang Schmidt, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung im Rathaus Schöneberg

Franklin Delano Roosevelt war der erste amerikanische Präsident, der seine Amtspapiere für einen wichtigen Teil des nationalen Erbes hielt und sie der Nachwelt sichern wollte. Roosevelts Präsidentenbibliothek markierte den Beginn eines Systems von inzwischen dreizehn Erinnerungs- und Forschungsstätten zu Ehren ehemaliger US-Präsidenten, die seit 1955 mit dem Presidential Libraries Act (PLA) eine gesetzliche Grundlage haben und den National Archives (NARA) zugeordnet sind.

Anders als in den USA existiert in der Bundesrepublik kein Gesetz, das automatisch zur Gründung einer Bundesstiftung führen würde, sobald ein Kanzler oder Bundespräsident aus dem Amt scheidet. In Deutschland gibt es nur fünf öffentlich-rechtliche Politiker-Gedenkstättenstiftungen, die vom Bund zu Ehren bedeutender Politiker eingerichtet wurden und betrieben werden: Für Otto von Bismarck, Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Theodor Heuss und Willy Brandt.

Vom 8. bis 10. September 2004 kamen im Deutschen Historischen Institut (DHI), Washington, D.C., erstmals Vertreter der amerikanischen Presidential Libraries (PL), der fünf deutschen Politiker-Gedenkstättenstiftungen, von NARA sowie Historiker aus beiden Ländern zu einer Konferenz zusammen. Sie erörterten Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Bedeutung der Erinnerung an führende Staatsmänner in den USA und Deutschland. Auf der Konferenz wurden nicht einfach beide Systeme verglichen oder die einzelnen Einrichtungen vorgestellt. Vielmehr bildeten thematische Schwerpunkte den Rahmen, in dem Fragestellungen von gegenseitigem Interesse behandelt wurden: historiographische und praktische Anliegen sowie Probleme von Archivzugang und Geschichtspolitik.

Zum Auftakt analysierte David Eisenhower (University of Pennsylvania, Philadelphia) in einer Festrede das System der PL und ihre Rolle bei der Interpretation der amerikanischen Geschichte. Garniert mit persönlichen Anekdoten aus dem Weißen Haus, zu dem er als Enkel Präsident Eisenhowers und Schwiegersohn Nixons exklusiven Zugang hatte, präsentierte der Kommunikationswissenschaftler ein strahlendes Bild. Die PL mit ihren Museen seien "der beste Ausdruck der amerikanischen politischen Tradition". Sie erfüllten die Aufgabe, dem Volk die Präsidentschaft, die er als "leadership with a mission" charakterisierte, nahezubringen. Zugleich hob Eisenhower die Forschungsmöglichkeiten in den Archiven der PL hervor. Er warb dabei für eine intensivere Beschäftigung mit der Genese großer Reden amerikanischer Präsidenten.

Die erste Konferenzsektion, moderiert von Sharon Fawcett (Office of the PL, Washington D.C.), behandelte die Geschichte der PL und der Politiker-Gedenkstättenstiftungen in vergleichender Perspektive. Frank Burke (Annandale, Virgina) befasste sich mit der Entwicklungsgeschichte der PL seit Präsident Roosevelts Entscheidung von 1938, seine Akten und Papiere dem Staat zu übertragen und eine PL am Familiensitz in Hyde Park, NY, einzurichten. Durch den PLA 1955 steht jedem scheidenden Präsidenten, der eine PL wünscht, staatliche Unterstützung zu. Diese ist allerdings an gleichzeitige private Initiative und Finanzierung eines Museums geknüpft. Der Charakter dieser Initiativen und ihre gesellschaftliche Verankerung wandelten sich im Laufe der Jahrzehnte stark, wie Burke schilderte: War die Truman Library ein wirkliches Bürgerprojekt in Trumans Heimatstadt Independence, Missouri, so gab es schon im Fall Kennedys jahrelangen Protest gegen den ursprünglich geplanten Standort der Library auf dem Campus von Harvard. Gegen die inzwischen übliche Kooperation mit Universitäten regte sich auch andernorts Protest. Die Stanford University wollte die Reagan Library nicht bei sich aufnehmen und die Duke University lehnte eine Nixon-Bibliothek ab. Grundlegend verändert hat sich seit 1938 auch der rechtliche Status von Präsidentenakten. Während Roosevelt sie noch als Privatbesitz betrachten konnte und den Vereinigten Staaten schenkte, ist die Eigentumsfrage seit den "Nixon Tapes" zugunsten des Staates geklärt. Der Presidential Recordings and Materials Preservation Act von 1974 und der Presidential Records Act (PRA) von 1978 haben aus der Nixon-Präsidentschaft die gesetzlichen Konsequenzen gezogen und alle dienstlichen Akten eines Präsidenten und Vizepräsidenten zu Regierungsakten erklärt, für deren Verwaltung NARA zuständig ist.

Dieter Dowe (Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn) legte anschließend die Entstehungsgeschichte des deutschen Systems dar. Mit Blick auf Ausstellungsflächen und Budgets bemerkte er vorweg, dass die Gegenüberstellung mit dem amerikanischen System dem Versuch gleichkomme, "Mäuse mit Elefanten" zu vergleichen. Gleichwohl sei das US-Modell Vorbild für die erste Politiker-Gedenkstättenstiftung des Bundes, die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf, gewesen. Sie wurde bereits zur Zeit der Großen Koalition als zivilrechtliche Stiftung gegründet und 1978 durch den Bundestag in eine Bundesstiftung umgewandelt. Das gleiche Verfahren wurde Ende der achtziger Jahre auch bei der seit 1962 bestehenden Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg angewandt. In den neunziger Jahren kamen dann die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung in Berlin, die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh sowie die Stiftung Bundespräsident-Heuss-Haus in Stuttgart hinzu. Wirklich umstritten war nur die Errichtung der Bismarck-Stiftung. Der Protest sozialdemokratischer Historiker gegen dieses Projekt führte zu einer kontroversen Debatte im Bundestag. Die Kritiker blieben indes auch in der SPD in der Minderheit. Denn zwischen der Bundesregierung und den Fraktionsvorsitzenden der Parteien hatte es klare Absprachen gegeben. Als wichtigste Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen System stellte Dowe heraus: 1. Es gibt in Deutschland keinen Automatismus für die Gründung einer Bundesstiftung zu Ehren eines Politikers. Als Kriterien müssen gelten, dass er (oder sie) nach dem Tode für "würdig" befunden wird und zugleich mit einer bedeutenden historischen Epoche bzw. Leistung in enger Verbindung steht. Bei der Auswahl spielt allerdings die Parteipolitik eine erhebliche Rolle. 2. Die fünf deutschen Stiftungen werden vollständig aus dem Bundeshaushalt finanziert, sind aber unabhängige Institutionen. Insbesondere gehören ihre jeweiligen Archivbestände nicht zum Bundesarchiv.

In der zweiten Sektion ging es um das Verhältnis von Biographie und Geschichtswissenschaft. Moderator Jay Hakes (Jimmy Carter Library, Atlanta) wies zu Beginn auf die Verkaufserfolge historischer Biographien in den USA hin. Geschichte werde vom Lesepublikum stark durch Biographien rezipiert. Thomas A. Schwartz (Vanderbilt University, Nashville) betonte in seinem Vortrag die Bedeutung der PL und den dort verwalteten Aktenbeständen für die Erforschung der politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das große Interesse an den Biographien von Präsidenten fand er nicht weiter verwunderlich, schließlich sei das Amt das Scharnier des amerikanischen politischen Systems. Allerdings gehe dieser Fokus nicht selten auf Kosten einer Analyse der Politik des US-Kongresses und zeichne dadurch ein ungleichgewichtiges Bild der politischen Abläufe. Trotzdem pries er die Biographie als ein Genre, das zum Verständnis abstrakter politischer Vorgänge beitrage, indem es deren Dilemmata konkret in einer Person sichtbar machen könne. Die oft zu hörende Kritik, die dezentrale Verteilung der PL im ganzen Land sei eine Arbeitsbehinderung, teilte Schwartz nicht. Im Gegenteil, er hielt es für vorteilhaft, mit der PL auch die Region zu besuchen, die einen Präsidenten geprägt habe.

Hans-Peter Schwarz (Bonn) unternahm in seinem Vortrag eine Tour d'Horizon der Biographienlandschaft deutscher Staatsmänner. Er verglich Biographen mit Jägern auf der Suche nach den Geheimnissen von Politikern. Bei dieser Jagd sei "frisches Fleisch" gefragt, das aber meist nur schwer zu beschaffen ist. Die geringe Zahl von wissenschaftlichen Biographien in Deutschland führte Schwarz auf die 30-Jahr-Regel in den Archiven sowie auf die schlechten Lesemarktbedingungen zurück. Das Interesse konzentriere sich auf wenige Viten, und an erster Stelle stehe immer noch Hitler. Schwarz arbeitete das spezifische Interesse der Biographen an den deutschen Spitzenpolitikern nach 1945 heraus. Die Bundespräsidenten seien aufgrund ihrer überwiegend repräsentativen Funktion nur zweite Wahl. Die größte Aufmerksamkeit zögen die Kanzler Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl auf sich. Schwarz machte in diesen vier Staatsmännern aber auch "kraftvolle Konkurrenten" zur historischen Zunft aus, da sie selbst Memoiren veröffentlicht haben. Mit Blick auf den amtierenden Bundeskanzler und seinen Außenminister gab sich der Referent zuversichtlich: Ihre - auch privat sehr wechselvollen - Lebensläufe wären geradezu ideal für eine Biographie.

Sektion III widmete sich strittigen Fragen beim Aktenzugang. Moderator David Alsobrook (William J. Clinton Library, Little Rock) deutete gleich am Anfang mit einer Anekdote auf ein dramatisch wachsendes Problem hin, das die PL und NARA in Zukunft beschäftigen wird. Die erste Frage Bill Clintons nach der Überführung "seiner" Akten aus dem Weißen Haus nach Arkansas war: "Wie viel Zeug habe ich? Ist es mehr als LBJ?" Alsobrook konnte ihn beruhigen: Die Clinton-Regierung hinterlässt 80 Mio. Seiten (davon allein 20 Mio. E-Mails), und schlägt damit bei der "Aktenproduktion" alle früheren Präsidenten. Soweit rechtlich möglich, wünscht Clinton die schnellstmögliche Öffnung der Akten - allerdings wird die ungeheure Datenflut, die NARA bewältigen muss, den Prozess bremsen.

Das Bundesarchiv sieht sich in seiner Arbeit anderen Schwierigkeiten gegenüber. Bundesarchiv-Präsident Hartmut Weber (Koblenz) beklagte die inkonsequente Anwendung der Archivgesetze auf Akten führender deutscher Politiker: Eine Trennung von privaten und amtlichen Papieren finde meist nicht statt, so dass Regierungsakten oft nicht ins Bundesarchiv, sondern in Privatarchive bzw. in die Archive der Parteistiftungen wanderten. Er begrüßte den Kabinettsbeschluss vom Juli 2001, in dem immerhin für die Spitzen der Ministerien verfügt worden ist, dass Originale nicht mitgenommen werden dürfen und Parteiakten gesondert zu führen sind. Wer Erfahrungen mit Zugangsbeschränkungen zu den Nachlässen deutscher Spitzenpolitiker gemacht hat, dürfte Webers engagiertem Plädoyer, dem Bundesarchiv generell die Kontrolle auch über die Politikerakten zu übertragen, Sympathien entgegenbringen. Doch angesichts der realen (parteipolitischen) Interessen- und Machtkonstellation wird dies wohl ein Wunschtraum bleiben.

Nancy Smith (Presidential Materials Staff, NARA) referierte über die historische Entwicklung des Zugangs zu Präsidentenakten und zeigte - speziell anhand der "Nixon Tapes" - die Probleme auf, denen sich NARA gegenübersieht, seit ihnen die Verfügungsgewalt über dieses Material zugefallen ist. Besonders heikel sei die Frage der Vermischung von persönlichen und dienstlichen Unterlagen. In den USA zählt zu den privaten Papieren auch all das hinzu, was in Deutschland als "politische" Aktivitäten gelten würde. Darunter fallen z.B. die Verbindungen zur eigenen Partei, aber auch allgemeine, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte "politische" Äußerungen des Präsidenten. NARA versucht daher, über Schenkungen auch die persönlichen Dokumente eines früheren Präsidenten und seiner Mitarbeiter zu erwerben. Nicht nur die Prüfung "privater" Inhalte und die Masse elektronischen Materials verzögert die schnellstmögliche Freigabe. In den ersten zwölf Jahren haben die früheren Präsidenten ein Mitspracherecht über "ihre" Akten und können, z.B. wenn es um vertrauliche Informationen von Beratern geht, Restriktionen für den Zugang verhängen - und jeder ehemalige Präsident, so erklärte Smith, habe bisher von dieser Regelung Gebrauch gemacht.

Martin Sabrow (ZZF, Potsdam) widmete sich der Auseinandersetzung um die Stasi-Akten im vereinigten Deutschland. Er schilderte zunächst die Erfolgsgeschichte der Gauck-Behörde (BStU), die ein Erfolg der ostdeutschen Bürgerbewegung war. Für die dramatische Verschlechterung des Aktenzugangs seit dem "Fall Kohl" im Jahr 2000, nannte er im Wesentlichen zwei Faktoren: 1. Den CDU-Spendenskandal als politischer Hintergrund und Auslöser des gesteigerten Interesses an den abgehörten Telefongesprächen Kohls und 2. den personellen Faktor, d.h. die Kompromisslosigkeit der handelnden bzw. entscheidenden Personen Kohl, Schily und Birthler. Sabrow beklagte den für die Wissenschaft höchst unbefriedigenden neuesten Stand der Zugangsregelungen, der sich aus dem letzten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2004 ergeben hat. Zudem kritisierte er die allgemeinen Nutzungsbedingungen, besonders das Fehlen von Findbüchern und den exklusiven Zugang für Angestellte der BStU zu den Akten. Im Streit um Kohls Stasi-Akten erkannte Sabrow ein Krisenzeichen der deutschen Vereinigung. Der revolutionäre Akt, mit dem die Bürgerbewegung die Stasi-Akten für alle Bürger öffnete, sei eine "mentale Reinigung" im Umgang mit der DDR-Vergangenheit gewesen. Dieser Versuch der Historisierung in Form einer schonungslosen Aufarbeitung kollidierte im vereinten Deutschland aber mit dem Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung und forderte die westliche Rechtstradition und ihre Regeln heraus.

Der zweite Teil der Sektion III unter der Leitung von Bernd Schäfer (DHI, Washington D.C.) behandelte aktuelle Fragen des Zugangs zu den Presidential Papers. Tom Blanton (National Security Archive, Washington D.C.) berichtete aus der Arbeit des National Security Archive, einer privaten Organisation, die sich für das demokratische Ideal von Informationstransparenz einsetzt. Das NSA benutzt den Freedom of Information Act (FOIA), um staatlichen Institutionen Dokumentation abzutrotzen und diese Regierungsakten anschließend im Internet und in einem Archiv zugänglich zu machen. Das NSA ist dadurch der "natürliche" Gegner amtlicher Verschlussbestrebungen. Blanton referierte als Beispiel den von ihm angestrengten und gewonnenen Prozess zur Freigabe von E-Mails der Reagan-Regierung zur Iran-Contra-Affäre. Erst nach diesem Fall seien E-Mails überhaupt als Präsidentenakten definiert worden, was wiederum gesetzlich ihre Sicherung und Überlieferung erfordert. NARA wollte seinerzeit diese Definition nicht mittragen.

Bruce Craig (American Historical Association, Washington D.C.) ging in seinem Beitrag auf die jüngsten Versuche der Bush-Regierung ein, die Freigabe der Akten früherer Präsidenten zu verzögern. Gemäß des PRA von 1978 hätte mit der Veröffentlichung der ersten 680.000 Seiten aus der Zeit von Präsident Bush senior im Jahre 2001 begonnen werden müssen. Doch durch die Executive Order (EO) 13223 von Bush junior im November 2001 wurde die Freigabe zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Craig kritisierte, dass durch die Verordnung die Anforderungen für die Deklassifizierung der Akten erheblich verändert worden seien. Nunmehr werde nicht nur dem amtierenden Präsidenten, sondern auch dem früheren Amtsinhaber oder seinen gesetzlichen Vertretern über die im PRA geltende 12-Jahre-Regel hinaus ein Mitspracherecht bei der Freigabeentscheidung eingeräumt. Werde EO 13223, die Gegenstand eines schwebenden Gerichtsverfahrens ist, nicht gekippt, erhielten die früheren Präsidenten praktisch ein Vetorecht über die in ihrer Amtszeit entstandenen Akten des Weißen Hauses. Dies aber widerspreche klar dem Geist des PRA, wie Craig betonte.

Gary Stern (NARA, Washington D.C.) nahm in seinem Vortrag die Gegenposition zu Craig und Blanton ein. Im Streit um EO 13223 verwies er darauf, dass inzwischen bis auf einen Rest von 74 Seiten alle zur Veröffentlichung vorgesehenen Dokumente freigegeben worden seien. Gleichwohl räumte er ein, dass die Verordnung die Freigabe verlangsamt habe. Das schon im PRA enthaltene Privileg früherer Präsidenten, bei der Entscheidung über die Freigabe von Akten mitzubestimmen, hielt Stern zwar grundsätzlich für problematisch. Er sah aber durch EO 13223 keine wesentliche Veränderung der bisher geltenden Praxis.

Zum Abschluss des zweiten Tages hielt der Zeit-Herausgeber und Staatsminister a.D. Michael Naumann einen Vortrag über den Verlust von Akten und Datenbeständen im Bundeskanzleramt beim Regierungswechsel 1998. Naumann zeigte sich fest davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen den verschwundenen Leuna-Akten, dem CDU-Spendenskandal sowie dem Verkauf von Eisenbahnerwohnungen unter der Regierung Kohl gäbe. Dabei erhob er schwerste Vorwürfe gegen die seiner Meinung nach nur unzureichend ermittelnden Staatsanwaltschaften und spekulierte über die "wahren" politischen Motive des Aktenschwundes.

In Sektion IV unter der Leitung Wolfram Hoppenstedt (Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin) stand zunächst ein transatlantischer Vergleich der Präsentation von Biographien deutscher und amerikanischer Staatsmänner in Museen und Ausstellungen auf dem Programm. Thomas Hertfelder (Stiftung Bundespräsident-Heuss-Haus, Stuttgart) stellte seine Analyse der Ausstellungen von vier Presidential Libraries (Roosevelt, Kennedy, Johnson und Bush) vor, die er wenige Monate zuvor besucht hatte. Schon in der Wahl des Ortes spiegele sich eine symbolische Überformung, bemerkte Hertfelder. Durch die Lage fernab vom Machtzentrum Washington erhielten die Libraries eine "konkrete lokale Heimat", die vielfach "kulturell codiert" sei. Erst durch diese "verräumlichte Erinnerung" werde der frühere Präsident zum wirklichen Repräsentanten der amerikanischen Nation. Den Ausstellungen attestierte Hertfelder generell eine Orientierung an weißen, männlichen Idealbiographien: Der Präsident habe eine möglichst große, intakte Familie, war in seiner Jugend ein erfolgreicher Sportler und lebenslang ein großer Patriot. Im Spannungsfeld zwischen der Vermittlung von geschichtlichen Ereignissen und Hintergründen einer Präsidentschaft einerseits und dem Lobpreis des historischen Vermächtnisses des Präsidenten andererseits stellte Hertfelder bei den Ausstellungen einen deutlichen Hang zu Letzterem fest. Zusammenfassend diagnostizierte er für die museale Präsentation amerikanischer Präsidenten einen "Hauch von republikanischem Royalismus".

John Powers (NARA, Washington D.C.) präsentierte eine amerikanische Sicht auf die fünf deutschen Stiftungen. Bei den Ausstellungen sah er den Fokus auf politische Bildung gerichtet. Die Museen seien bemüht, trotz des biographischen Ansatzes die Zeitumstände des Lebens und Wirkens der Politiker zu erklären. Dabei werde vor allem die Bedeutung und Wirkung des Nationalsozialismus für die deutsche Geschichte erläutert. Die Ausstellungen beschrieben die demokratische Transformation Deutschlands vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Zugleich gelinge es ihnen, die herausragenden Verdienste der ausgestellten Staatsmänner in diesem Prozess darzustellen. Powers kritisierte indes, dass die Ausstellungen mitunter zuviel Parteipolitisches und zuwenig Privates enthielten. Auch werde der historische Wandel von 1990 oder die Rolle von Migranten in der bundesdeutschen Geschichte kaum berücksichtigt. Er empfahl den Stiftungen, in den Ausstellungen weniger gedruckten Text zu verwenden und stattdessen mehr interaktive Elemente und audio-visuelle Informationen zu integrieren.

Mike Devine (Truman Library, Independence) stellte das vielfältige Bildungsprogramm einer PL vor. Das Angebot richtet sich besonders an Schüler, Studenten und Lehrer, denen das Leben Trumans und seine Präsidentschaft nahegebracht werden soll. Dazu bietet die Truman Library zum Beispiel Planspiele an, in denen Schülergruppen in die Rollen der damaligen Akteure schlüpfen und politische Entscheidungsprozesse der Truman Regierung mit Hilfe von Schlüsseldokumenten in nachgestellten Kabinettssitzungen nachvollziehen. Die Library bietet auch Wettbewerbe, Workshops und Artefakte "zum Anfassen", um die Besucher immer wieder von Betrachtern zu Teilnehmern zu machen. Devine verwies darüber hinaus auf das Webangebot der Library mit über 30.000 Seiten, die von ca. 250.000 Nutzern pro Monat genutzt werden.

Die letzte Sektion widmete sich schließlich den unterschiedlichen erinnerungs- und geschichtspolitischen Kulturen in den USA und Deutschland. Im ersten Teil, den Hans-Peter Mensing (Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, Rhöndorf) moderierte, untersuchte Barry Schwartz (University of Georgia, Athens) die Wandlungen der kollektiven Erinnerung in den USA am Beispiel des 1968 eingeführten "Presidents Day". Bis in die 1930er Jahre hinein seien die Geburtstage der Gründerväter Washington und Lincoln im Februar bedeutende Feiertage gewesen. Der populäre Valentine's Day am 14. Februar verdrängte die ehrwürdigen Präsidenten jedoch allmählich. 1971 fiel dann die Entscheidung, einen Presidents' Day am dritten Montag im Februar als Gedenktag für alle amerikanischen Präsidenten einzuführen. Dies, so Schwartz, war weniger eine erinnerungspolitische als eine wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung. Er fand es auch mehr als fraglich, ob man wirklich aller US-Präsidenten gedenken solle. Einen Verfall des Ansehens des Präsidentenamtes, den Schwartz seit Mitte der sechziger Jahre ausmachte, habe der neue Feiertag aber nicht verhindern können.

Nachfolgend analysierte Konrad Jarausch (Potsdam/University of North Carolina, Chapel Hill) die Schwierigkeiten einer von "doppelter Last" geprägten deutschen Erinnerungskultur. Jarausch stellte fest, dass der Völkermord an den europäischen Juden inzwischen Teil einer weltweiten Erinnerungskultur geworden sei. In der Bundesrepublik sei der Holocaust - nach der Verdrängung in den fünfziger und der Enttabuisierung in den sechziger Jahren - seit Ende der siebziger Jahre ein zentraler Bestandteil der deutschen Gedenk- und Erinnerungskultur. Seit dem Fall der Mauer 1989 nehme auch die Erinnerung an die Diktatur in der DDR einen wichtigen Platz ein. Ohne diese beiden belastenden Elemente der Erinnerung in Frage stellen zu wollen, vermisste Jarausch indes eine sozusagen "positive" Erinnerung an die Geschichte von Demokratie und Freiheit in Deutschland. Er plädierte daher dafür, mehr für die Entwicklung einer demokratischen Erinnerungskultur zu tun.

Die Fortsetzung von Sektion V, die Karl Weissenbach (NARA, Washington D.C.) leitete, brachte drei Fallstudien öffentlicher Erinnerung an große Staatsmänner. Andreas v. Seggern (Bismarck Stiftung, Friedrichsruh) gab einen Überblick über die wechselvolle Geschichte des Bismarck-Bildes in Deutschland. Die noch zu Lebzeiten spontan einsetzende populäre Verehrung des Reichskanzlers habe sich, so v. Seggern, nach Bismarcks Tod in mythische Dimensionen gesteigert, die sich in eine Welle von Denkmälern übersetzte. Auf der Suche nach nationaler Identität wurde der Reichsgründer zum Symbol der deutschen Einheit gemacht und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Ultranationalismus vereinnahmt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die Sicht auf Bismarck radikal verändert. Nationalismus und damit auch der überzogene Bismarck-Mythos waren delegitimiert. Die Erinnerung an Bismarck wurde in der Bundesrepublik erst in den achtziger Jahren wieder zum Thema, als sich der damalige Innenminister Zimmermann darum bemühte, das allmählich verfallende Bahnhofsgebäude in Friedrichsruh zu retten. Gleichwohl entstand erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands - vor allem auf Betreiben von Bundeskanzler Kohl - eine Bismarck-Stiftung. Diese verstehe den Reichskanzler allerdings als Referenzpunkt für Studien des 19. Jahrhunderts und nicht als Objekt persönlicher Verehrung.

David Greenberg (Rutgers University) widmete sich der amerikanischen Erinnerung an Richard Nixon. Amerikanische Präsidenten sind immer auch politische Symbole, was auf den während seiner gesamten Karriere stets umstrittenen Nixon besonders zutreffe. Über sein "wahres" Wesen ist stets viel spekuliert worden. Zwei jüngere Bilder beschreiben Nixon nicht mehr als skrupellosen Kriminellen, sondern als erfahrenen außenpolitischen Staatsmann, der z.B. auch Präsident Clinton beraten habe. Dieses Image hielt Greenberg gleichwohl für substanziell nicht zutreffend. Nixon habe es selbst propagiert, um von Watergate abzulenken. Seine außenpolitische Expertise, die er in Büchern vorweisen wollte, sei nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt in der Praxis nie zur Geltung gekommen. Auch das Bild vom liberalen Nixon, der in der Innenpolitik progressive Errungenschaften durchgesetzt habe, ließ Greenberg nicht gelten. Nixon habe keine Leidenschaft für innenpolitische Fragen entwickelt. Er habe als Präsident lediglich auf die damalige liberale Stimmung in den USA reagiert. Bei einer Beurteilung falle aber Nixons Persönlichkeit negativ ins Gewicht. Letztlich, so Greenberg, lassen sich die verschiedenen Erinnerungen an Nixon nicht in ein homogenes Bild integrieren. Das "alte" Nixon-Bild werde wohl dominierend bleiben.

Walter Mühlhausen (Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg) schloss die Runde mit einer Fallstudie des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik ab. Er stellte heraus, wie umstritten Friedrich Ebert - auch in seiner eigenen Partei - schon zu Lebzeiten aufgrund seiner Rolle während der Revolution 1918/19 war. Die Republik habe nie eine Loyalität zu ihrem Reichspräsidenten entwickelt. Ebert selbst habe auch kaum etwas für sein eigenes Image in den Medien getan. Sein plötzlicher Tod 1925 führte in der SPD zu einem dramatischen Wandel. Ebert wurde umgehend zu einer Ikone der Sozialdemokraten, die ihn mit einer Stiftung ehrte und sein Grab zur Gedenkstätte machte. Während die Nationalsozialisten das Gedenken an Ebert auszulöschen versuchten, hielt die SPD auch im Exil die Erinnerung an ihn wach. In der DDR als Arbeiterverräter verunglimpft, wurde Ebert letztlich auch in der Bundesrepublik nicht in die Erinnerungskultur der Nachkriegszeit integriert. Von den sechziger Jahren an geriet er immer stärker ins Visier des linken Flügels der SPD, weil er angeblich die Chancen der Revolution 1918/19 verpasst habe. Mühlhausen ließ erkennen, dass er den erst in den 1990er Jahren vollzogenen Aufstieg Friedrich Eberts in die erste Reihe der deutschen Staatsmänner, derer sich die Bundesrepublik offiziell mit einer Gedenkstiftung erinnert, für überfällig hielt.

Zum Abschluss der Tagung führten Richard Claypoole (Office of the PL, Washington D.C.), Gabriele Müller-Trimbusch (Stiftung Bundespräsident-Heuss-Haus, Stuttgart), Martin M. Teasley (Eisenhower Library, Abilene) und Christof Mauch (DHI, Washington D.C.) die Diskussionsstränge der Konferenz in einem Roundtable-Gespräch noch einmal zusammen. Die wachsende Bedeutung von politischer Bildung und "outreach"-Arbeit betrifft beide Systeme, die Antworten auf diese Herausforderung fallen aber schon allein aufgrund der unterschiedlichen finanziellen und personellen Ausstattung unterschiedlich aus. Anders als die deutschen Stiftungen sind die PL und NARA in viel stärkerem Masse in Tagespolitik eingebunden. Der transatlantische Dialog hat den Blick für die jeweils andere Erinnerungskultur geschärft und viel zum Informationsaustausch beigetragen. Ausgewählte Beiträge der Konferenz werden in einem Tagungsband veröffentlicht.


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Englisch
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